Die Post Carbon Reader Serie: Grundlegende Konzepte

August 17, 2010

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This is a German translation of the essay Beyond the Limits to Growth by Richard Heinberg which will appear in the forthcoming Post Carbon Reader. Translation by Stefan Thiesen

Jenseits der Grenzen des Wachstums

von Richard Heinberg
Übersetzt von Stefan Thiesen

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Diese Veröffentlichung ist ein Kapitelauszug des Buches “The Post Carbon Reader:Management der Nachhaltigkeitskrise des 21sten Jahrhunderts” (z.Zt. nur Englisch), Richard Heinberg und Daniel Lerch, Hrsg. (Healdsburg, CA: Watershed Media, 2010).
(c) 2010 Post Carbon Institute.

Für weitere Buchauszüge, Nachdruckgenehmigung und Bestellung der englischen Ausgabe besuchen Sie bitte http://www.postcarbonreader.com.

Über den Autor
Richard Heinberg wird weithin als einer der wirkungsvollsten Vermittler der dringenden Notwendigkeit einer Abkehr von fossilen Brennstoffen angesehen. Er ist Autor von 9 einschlägigen Büchern, darunter “Öl Ende – The Party’s Over: Die Zukunft der industrialisierten Welt ohne Öl” (2004), “Powerdown: Options and Actions for a Post Carbon World (2004) und “Blackout: Coal, climate and the last energy crisis (2009)” und viele mehr. Er schrieb zahlreiche Essays und Artikel und trat vielfach in Radio und Fernsehprogrammen auf. Heinberg ist ein Senior Wissenschaftler des kalifornischen Post Carbon Institute.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird der immer weiter steigende Resourcenverbrauch der Menschheit auf die sehr realen Grenzen eines Planeten mit endlichen Resourcen treffen

Im Jahre 1972 erkundete das inzwischen klassische Buch “Grenzen des Wachstums” die Konsequenzen des exponentiellen Wachstums von Bevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch.# Dieses Buch, bis heute unangetastet der Bestseller unter den Umweltbüchern, berichtete über die ersten Versuche, Computer zur Modellierung der Trends bei den Interaktionen von Ressourcen, Verbrauch und Bevölkerung zu nutzen. Es fasste die erste große Studie zusammen, die die Annahme in Frage stellte, dass das Wirtschaftswachstum in der vorhersehbaren Zukunft mehr oder weniger ununterbrochen weiter gehen kann und wird.

Der Gedanke war häretisch zu dieser Zeit, und ist es auch heute noch: während der letzten Jahrzehnte wurde Wachstum praktisch zum einzigen Maßstab für das wirtschaftliche Wohlergehen eines Staates.  Wächst die Wirtschaft, entstehen Arbeitsplätze, Investitionen bringen hohe Profite, und alle sind glücklich. Hört die Wirtschaft auf zu wachsen, führt dies zu finanziellem Aderlass und einer allgemeinen Misere. Es war vorhersehbar, dass ein Buch, aus dem hervorging, dass dieses Wachstum nicht weitergehen kann und wird, sich als sehr verstörend für einige Sektoren herausstellen würde. Als Folge wurde “Grenzen des Wachstums”  bald zum Ziel von Diffamierungskampagnen, organisiert von wachstumsorientierten Interessengruppen der Wirtschaft. In Wirklichkeit bestanden alle angeblichen “Widerlegungen” darin, einzelne Zahlen des Buches völlig aus dem Kontext zu reißen, sie als Vorhersagen darzustellen (was sie ausdrücklich nicht waren) und dann zu behaupten, diese angeblichen Vorhersagen hätten versagt. Diese List wurde schnell aufgedeckt, aber Gegendarstellungen erhalten häufig nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit von Beschuldigungen, und deshalb glauben Millionen von Menschen heute fälschlicher Weise, das Buch sei lange überholt. Tatsächlich aber haben die ursprünglichen Szenarien von “Grenzen des Wachstums” sich sehr gut behauptet, so gut sogar, dass 2008 ausgerechnet das besonders wirtschaftsfreundliche Wall Street Journal eine Titelgeschichte darüber brachte.#

In jedem Fall ist die grundlegende These des Buches unwiderlegbar: Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird der immer weiter steigende Ressourcenverbrauch der Menschheit auf die sehr realen Grenzen eines Planeten mit endlichen Rohstoffen treffen.

Wir, die Verfasser des “Post Carbon Reader”, sind der Auffassung, dass diese Zeit gekommen ist.

Die herausragende Rolle der Energie
Während der letzten zwei Jahrhunderte brachte eine Explosion von Bevölkerung, Konsum und technischer Innovation bis dahin unvorstellbare Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Reichtum, Verkehr und Kommunikation.

 

Diese Entwicklungen wurden möglich durch die Freisetzung riesiger Mengen billiger Energie aus fossilen Brennstoffen, beginnend in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Öl, Kohle und Erdgas, in Millionen von Jahren währenden natürlichen Prozessen entstanden, sind erheblich stärker konzentrierte Energieträger, als sie jemals zuvor der Menschheit zur Verfügung standen (etwa Feldfrüchte, menschliche und tierische Muskelkraft, Windmühlen oder Wasserkraft). Zudem waren sie  – selbst mit einfacher Technologie – vergleichsweise leicht zugänglich. Diese reichhaltige und frei verfügbare Energie für den Antrieb des Produktionsprozesses machte es möglich, die Rate der Ausbeutung anderer Bodenschätze zu erhöhen, indem beispielsweise der Einsatz von Kettensägen und Hochsee-Trawlern die Erntemengen von Holz und Fisch auf bis dahin unvorstellbare Mengen steigerten. Daneben erlaubten es treibstoffgetriebene Traktoren einer vergleichsweise kleinen Anzahl von Landwirten, eine große Zahl von Spezialisten in Handel und Industrie zu ernähren, was zu einer massiven Verstädterung in praktisch jedem Land der Welt führte. Die moderne Chemie (großenteils basierend auf organischen Komponenten, die aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden) führte auch zur Entwicklung neuer Medikamente, die, zusammen mit verbesserten Sanitäreinrichtungen (die ebenfalls großenteils von billiger Energie abhängen), höhere Lebenserwartungen und damit eine wachsende Bevölkerung ermöglichten.

Auf diese Weise verursachte der vermehrte Verbauch fossiler Brennstoffe beides: Wirtschaftswachstum und Bevölkerungswachstum. Allerdings steigern eine größere Bevölkerung und eine wachsende Wirtschaft die Nachfrage nach Energie. Wir sind also gefangen in einer klassischen sich selber verstärkenden (“positiven”) Rückkoppelungsschleife.

Entscheidend bei diese Betrachtung ist, dass der Planet, auf dem all dieses Wachstum  stattfindet, in seiner Größe begrenzt ist, also über begrenzte Mengen an fossilen Brennstoffen und Erzen verfügt, ebenso wie über begrenzte Fähigkeiten, Wälder, Fischpopulationen, fruchtbaren Boden und Trinkwasser zu regenerieren. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass wir derzeit an diese physikalischen Grenzen stoßen:

  • Die Welt befindet sich an – oder nahe an – der Maximalproduktion (Peak Production) einer Anzahl kritischer, nicht erneuerbarer Rohstoffe, darunter Öl, Erdgas und Kohle, sowie verschiedener wirtschaftlich bedeutender Mineralien von Antimon bis Zink.
  • Das globale Klima wird durch Treibhausgase destabilisiert, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt werden, was unter anderem zu vermehrten Wetterextremen (inklusive Dürren), sowie einem Abschmelzen der Gletscher und steigendem Meeresspiel führt.
  • Trinkwassermangel ist ein reales oder drohendes Problem für fast alle Nationen der Welt, verursacht durch Klimawandel, Verschmutzung und die Übernutzung von Grundwasser für Landwirtschaft und Industrieprozesse.
  • Die Pro-Kopf Nahrungsmittelproduktion geht zurück, und die Aufrechterhaltung der derzeitigen weltweiten Gesamterntemenge wird durch Klimawandel, Bodenerosion, Wassermangel und hohe Treibstoffkosten bedroht.
  • Die Pflanzen- und Tierarten der Erde sterben durch die Aktivitäten des Menschen aus, und das mit einer Geschwindigkeit, wie es sie während der letzten 60 Millionen Jahre nicht gab.

Image RemovedBild 1: Die Erde vom Mond aus gesehen

Der genaue Zeitpunkt des globalen Ölfördermaximums (Peak Oil) kann noch diskutiert werden – ebenso wie die Details der Klimawissenschaften.  Die Experten werden auch ihre Vorhersagen der Erntemengen auf der Basis der Ertragserwartung bei der Einführung neuer Sorten verfeinern. Aber wie dem auch sei, das Gesamtbild bleibt unveränderbar: Die Wachstumsphase der inudstrieellen Zivilisation wurde angetrieben durch billige Energie aus fossilen Brennstoffen, und der nun beginnende Niedergang wird durch die Verknappung dieser Brennstoffe einsetzen, sowie durch den Zusammenbruch von Ökosystemen, der direkt oder indirekt mit der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas zusammenhängt.

 

Am Ende der Fülle, am Abgrund des Niedergangs

 

Wir leben heute am Ende des Zeitalters mit dem größten materiellen Überfluss in der Geschichte der Menschheit

Unser Ausgangspunkt für zukünftige Planungen muss also die Erkenntnis sein, dass wir heute am Ende des Zeitalters mit dem größten materiellen Überfluss in der Geschichte der Menschheit leben – einem Überfluss, der auf der zeitlich begrenzten Verfügbarkeit billiger Energiequellen basierte, die alles Übrige ermöglichten. Nun, da die wichtigsten dieser Energiequellen ihren unabwendbaren Sonnenuntergang erleben, stehen wir am Anfang einer Ära allgemeiner wirtschaftlicher Schrumpfung.

Das Buch “Die Grenzen des Wachstums” sah diesen Wendepunkt bereits vor annähernd 40 Jahren voraus. Doch die Welt hat darin versagt, dieser Warnung Beachtung zu schenken; als Resultat wird die Anpassung jetzt sehr viel schwieriger werden, als sie es geworden wäre, wenn man vorausschauend das Wachstum bereits vor Jahrzehnten gezielt begrenzt hätte. Die Führung der Welt steht nun vor der Notwendigkeit, gleich vier gewaltige Aufgaben zugleich zu bewältigen:

  1. Schnellstens die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduzieren. Dies muss getan werden, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermindern, aber auch, weil die Verfügbarkeit der Brennstoffe selbst geringer wird – und damit die Preise steigen. Unsere Abhängigkeit von Kohle, Öl und Erdgas vorausschauend und mit möglichst geringen sozialen Auswirkungen zu beenden, wird eine völlige Umstellung von Transportwesen, Landwirtschaft und Energieerzeugung erfordern.
  2. Anpassung an das Ende des Wirtschaftswachstums. Dies bedeutet, unser bisheriges Wirtschaftssystem anzupassen bzw. völlig neu zu erfinden, da es nur unter der Bedingung ständiger Ausweitung funktioniert. Bank- und Finanzwesen sowie der Prozess der Gelderzeugung müssen allesamt auf neue Beine gestellt werden.
  3. Entwicklung und Bereitstellung eines zukunftsfähigen Lebensstils für 7 Milliarden Menschen. Wir müssen die Weltbevölkerung stabilisieren und mit der Zeit reduzieren, vor allem durch humane Strategien, wie die Verbesserung der Bildung der Frauen in armen Ländern. Doch selbst im günstigsten Fall wird es Jahrzehnte benötigen, dieses Planungsziel zu erreichen. In der Zwischenzeit müssen wir die bestehende Bevölkerung ernähren und zugleich besser als bisher die Menschen auf den untersten Stufen der Wirtschaftsleiter mit dem Nötigsten versorgen. All dies muss im Kontext einer nicht mehr wachsenden Gesamtwirtschaft geschehen, bei gleichzeitig stetig verringertem Zufluss von Ressourcen – und zugleich müssen wir dies erreichen, ohne die Umwelt weiter zu schädigen.
  4. Umgang mit den Umweltkonsequenzen aus fossil angetriebenem Wachstum. Selbst wenn wir alle unsere umweltzerstörerischen Praktiken morgen am Tage einstellten, würden wir uns doch mit der Eigendynamik der Prozesse konfrontiert sehen, die wir durch Jahrzehnte der Entwaldung, Überfischung, Bodenerosion und Verbrennung fossiler Energieträger in Bewegung gesetzt haben. Der erste und wichtigste dieser Prozesse ist natürlich der globale Klimawandel, der fast mit Sicherheit ernsthafte Auswirkungen auf die weltweite Landwirtschaft haben wird, selbst wenn die Kohlenstoffemissionen der Zukunft schon bald stark abnehmen würden.

Jede dieser vier Aufgaben steht für eine gewaltige Herausforderung, deren Schwierigkeit vervielfacht wird durch die Notwendigkeit zur selben Zeit die anderen drei Aufgaben zu bewältigen. Das Zusammentreffen derartig vieler planetenweiter Krisen, die die gesamte Zivilisation bedrohen, ist einzigartig in der Geschichte unserer Art.

Grenzen sind unvermeidbar
Es ist unerfreulich und zudem unprofitabel, über die Grenzen des Unternehmens Menschheit zu sprechen. Doch die Argumente für die letztendlichen Grenzen des Wachstums sind für praktisch jedermann verständlich.

 

Einfaches arithmetisches Wachstum ist leicht zu verstehen. Man stelle sich vor, mit $ 100 in einer Spardose zu beginnen, und jedes Jahr weitere $ 10 hineinzutun – das ist arithmetisches (lineares) Wachstum. Nach 50 Jahren haben sie $ 600. Schulden, oder ein anderes Problem,  das arithmetisch wächst, ist leichter zu handhaben, als eines, das exponentiell wächst, bei dem also der Wert pro Zeiteinheit um einen bestimmten Prozentsatz steigt. Beginnen wir wieder mit unseren $ 100 in der Spardose, aber diesmal lassen wir den Betrag auf irgend eine magische Weise um 10% pro Jahr aufgezinst anwachsen. Das Ergebnis ist ein vollkommen anderes: am Ende der 50 Jahre hat man $ 12.000, oder mehr als 20 mal soviel, als beim linearen arithmetischen Wachstum herauskam. (Abb. 1.1). Wenn wir über Investitionen reden, hört sich exponentielles Wachstum wie eine sehr gute Sache an, aber wenn Schulden oder Probleme auf die gleiche Art anwachsen, schleicht sich das Unglück auf besonders heimtückische Weise an uns an.

Image RemovedBild 2: Lineares und exponentielles Wachstum

Wenn irgend eine Größe jedes Jahr um einen bestimmten, festen Prozentsatz ansteigt, impliziert dies, dass sie sich nach einer gewissen Anzahl von Jahren verdoppelt. Je höher der Prozentsatz liegt, desto schneller erfolgt die Verdoppelung. Eine Methode, um diese Verdoppelungszeit für kleine Prozentsätze grob abzuschätzen, ist bekannt als die 70er Regel: Indem man den Prozentsatz in 70er aufteilt, erhält man näherungsweise die Zeit, die die ursprüngliche Größe für ihre erste Verdoppelung benötigt. Wenn eine Größe also um 1% pro Jahr wächst, verdoppelt sie sich nach 70 Jahren. Wächst sie um 2%, dauert es 35 Jahre, bei 5 verdoppelt sie sich in 14 Jahren, und so fort. Wer es präziser wissen möchte, kann auch den Y^X Knopf seines Taschenrechners bemühen, aber für die meisten Zwecke reicht die 70er Regel völlig aus.

Hier ein Beispiel aus der wirklichen Welt: Während der letzten beiden Jahrhunderte wuchs die Bevölkerung mit Wachstumsraten im Bereich von weniger als 1% bis zu über 2% jährlich. Im Jahre 1800 stand die Weltbevölkerung bei etwa einer Milliarde; bis 1930 hatte sie sich auf 2 Milliarden verdoppelt. Nur 40 Jahre später (1975) hatte sie sich wieder verdoppelt – auf 4 Milliarden. Derzeit sind wir dabei, eine dritte Verdoppelung zu erreichen, diesmal auf 8 Milliarden Menschen um das Jahr 2025 herum. Niemand kann ernsthaft annehmen, dass die Menschheit in den zukünftigen Jahrhunderten mit diesem Tempo weiterwächst.

In der Natur kollidiert jegliche Art von Wachstum früher oder später mit nicht verhandelbaren Beschränkungen. Wenn eine Spezies auf erweiterte Nahrungsgrundlagen trifft, wird die Anzahl ihrer Individuen steigen, um die verfügbaren zusätzlichen Kalorien auszunutzen – dann aber wird die zusätzliche Nahrungsquelle nach und nach durch die steigende Population erschöpft, und ihre Räuber werden ebenfalls an Zahl zunehmen (mehr saftige Steaks für alle!). Auf Bevölkerungs “Blüten” (also Phasen schnellen Wachstums) folgen ausnahmslos Zusammenbrüche und das große Absterben. Immer.

Hier noch ein anderes Beispiel aus der echten Welt. Während der letzten Jahre wuchs Chinas Wirtschaft um 8 oder mehr Prozent pro Jahr, verdoppelte sich also ungefähr alle 9 Jahre. Tatsächlich verbraucht China heute mehr als doppelt soviel Kohle wie vor einem Jahrzehnt – dasselbe gilt für Eisenerz und Öl. Das Land hat inzwischen 4 mal soviele Schnellstraßen als zuvor und fast die fünffache Anzahl Autos. Wie lange kann das so weitergehen? Wieviele weitere Verdoppelungen können stattfinden, bevor China seine Schlüsselrohstoffe aufgezehrt hat  – oder sich entscheidet, dass genug genug ist und aufhört zu wachsen?

Ökonomen neigen dazu, natürliche Grenzen zu ignorieren

 

Jenseits eines gewissen Punktes wird Wachstum zu einem Problem, anstelle eines Vorteiles – aber Ökonomen sehen dies allgemein anders.

Es würde Sinn machen, wenn die Wirtschaft Regeln analog denen folgen würde, die biologischen Systemen zugrundeliegen. Pflanzen und Tiere wachsen in der Regel schnell, wenn sie jung sind, aber dann erreichen sie eine mehr oder weniger stabile Reifephase. Jenseits eines gewissen Punktes wird Wachstum zu einem Problem anstelle eines Vorteils.

Ökonomen sehen dies allerdings in der Regel anders. Das liegt vermutlich daran, dass die meisten Wirtschaftstheorien in einer Geschichtsperiode formuliert wurden, die geprägt war von anhaltendem anomalem Wachstum. Wirtschaftswissenschaftler generalisieren lediglich diese Erfahrung: sie können auf Jahrzehnte stabilen Wachstums verweisen und projizieren dieses einfach in die Zukunft. Mehr noch  – sie haben auch Erklärungen dafür, weshalb die moderne Marktwirtschaft immun ist gegen die Grenzen natürlicher Systeme; die beiden wichtigsten drehen sich um Substitution und Effizienz.

Wird ein gegebener Rohstoff knapp, erhöht sich sein Preis, wodurch für die Nutzer ein Anreiz entsteht, nach einem Ersatz Ausschau zu halten. Wenn beispielsweise Öl teuer genug wird, werden Energiefirmen damit beginnen, Flüssigtreibstoff aus Kohle zu erzeugen. Oder sie werden gar Energiequellen entwickeln, die wir uns heute noch nicht träumen lassen. In der Theorie der Ökonomen kann dieser Substitutions – oder Ersetzungsprozess für alle Ewigkeit so weitergehen. Er ist Teil der Zauberkraft des freien Marktes.

Effizienz zu steigern bedeutet, mehr mit weniger zu tun. In den Vereinigten Staaten hat über die letzten Jahrzehnte die Menge der inflationsbereinigten Dollars, die pro Energieeinheit erwirtschaftet wurden, stetig zugenommen.# Das ist eine Art wirtschaftlicher Effizienz. Eine andere hat mehr damit zu tun herauszufinden, wo es die billigsten Rohmaterialien gibt und an welchen Orten Arbeiter am produktivsten sind und für den geringsten Lohn arbeiten. Während wir die Effizienz verbessern, nutzen wir weniger Rohstoffe, Energie, Arbeitskraft, um mehr zu erreichen. Das alles erlaubt weiteres Wachstum.

Die Effizienz zu steigern und Ersatz für ausgebeutete Rohstoffe zu finden, sind zweifellos wirkungsvolle Anpassungsstrategien der Marktwirtschaft. Dennoch bleibt die Frage offen, wie lange diese Strategien in der Wirklichkeit funktionieren – eine Wirklichkeit, die weniger auf ökonomischen Theorien als den Gesetzen der Physik beruht. In der wirklichen Welt gibt es für viele Dinge keinen Ersatz, oder der Ersatz ist weitaus zu teuer, funktioniert nicht in gleicher Weise, oder kann nicht schnell genug beschafft werden. Zudem folgt Effizienz dem Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag: die ersten Zugewinne aus Effizienzsteigerungen sind in der Regel billig, aber jede weitere Effizienzsteigerung neigt dazu, immer höhere Kosten zu verursachen, bis weitere Steigerungen sich aus Kostengründen verbieten.

Anders als die Ökonomen erkennen die meisten Naturwissenschaftler, dass Wachstum innerhalb eines funktionierenden, begrenzten Systems irgendwann enden muss.

Aber diese Diskussion der Grenzen hat sehr reale Folgen, denn “die Wirtschaft” ist nicht lediglich ein abstraktes Konzept, sondern sie bestimmt, ob wir in Luxus leben oder in Armut, ob wir zu essen haben oder hungern. Wenn wirtschaftliches Wachstum zum Stillstand kommt, hat dies auf jeden Einfluss, und es wird die Gesellschaft Jahre kosten, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Es ist also äußerst wichtig, vorhersagen zu können, ob dieser Zeitpunkt nah ist oder weit entfernt.

Aus diesem Grund gab es die Studie und das Buch “Grenzen des Wachstums”. Die Autoren fütterten Computersimulationen mit Daten zu Wachstum der Weltbevölkerung, Verbrauchstrends und Vorkommen verschiedener Ressourcen, starteten ihre Analysen und kamen zu der Schlussfolgerung, dass das Endes des Wachstums irgendwo zwischen 2010 und 2050 kommen würde. Industrieproduktion und Nahrungsmittelerzeugung würden dann fallen, und eine Abnahme der Weltbevölkerung nach sich ziehen.    

Die Ära nach dem Kohlenstoff
Viele weitsichtige Organisationen und Gemeinschaften haben diesen langfristigen Weg des “Projekts Menschheit” längst erkannt und experimentieren mit neuen Möglichkeiten, um die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse in einer Weise zu befriedigen, die auf Dauer in der Zukunft fortgesetzt werden kann.

 

Alternative Energiequellen und verbesserte Effizienz sind wichtig, aber der Übergang zur Ära nach dem Kohlenstoff ist nicht auf den Bau von Windrädern oder die Isolierung von Wohnhäusern beschränkt – aus zwei Schlüsselgründen: zum einen gibt es keine alternativen Energiequellen (alternative oder sonstige), die kurzfristig in der Lage sind, Energie ebenso billig und in solcher Menge bereitzustellen, wie es die fossilen Brennstoffe derzeit tun. Zweitens haben wir unsere komplette Infrastruktur, von Transportwesen über Stromversorgung und Nahrungsmittelerzeugung bis hin zum Gebäudebestand, vollständig an die speziellen Eigenschaften von Öl, Erdgas und Kohle angepasst. Ein Wechsel zu anderen Energiequellen wird auch umfassende Änderungen vieler Aspekte dieser Systeme erfordern.

Image RemovedBild 3: Verstädterung in den USA
Der Übergang zur Ära nach dem Kohlenstoff muss eine weitgehende Neugestaltung der inneren Struktur unserer Gesellschaft mit sich bringen, die heute vollkommen abhängig von billigen fossilen Brennstoffen ist. Ebenso wie sich die heutige Gesellschaft grundsätzlich und umfassend von der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft des Jahres 1800 unterscheidet, wird sich die Wirtschaft der Post-Kohlenstoff Ära nach dem Jahre 2050 von allem unterscheiden, das wir heute gewöhnt sind. Diese Unterschiede werden sich in der Stadtplanung, in den Landnutzungsmustern und der Nahrungsmittelversorgung ebenso widerspiegeln, wie in Produktionsmengen, Verteilungsnetzen, dem Arbeitsmarkt, der Gesundheitsversorgung, dem Tourismus und vielem mehr. Sie wird auch eine grundlegende Neuorientierung unserer Finanzinstitute und kulturellen Werte erfordern.

Dem Übergang voranschreiten
Unser neuer historischer Augenblick erfordert ein anderes Denken und andere Strategien, eröffnet aber ebenso neue Gelegenheiten, um einige sehr praktische Probleme zu lösen. Ideen aus der Umweltbewegung, die jahrzehntelang von Ökonomen und Politikern heruntergemacht wurden, wie Verringerung des Konsums, Relokalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten, Förderung der Selbstversorgung, werden plötzlich in Haushalten ernst genommen, die es sich nicht länger leisten können, in der Tretmühle der Konsumgesellschaft mitzuhalten. Ganz leise hat eine kleine aber wachsende Bewegung aus engagierten Bürgern, Gemeindegruppen, Unternehmen und gewählten Politikern den Übergang in das Zeitalter jenseits der fossilen Brennstoffe bereits eingeleitet. Diese frühen Akteure haben daran gearbeitet, den Konsum zu vermindern, lokale Nahrungsmittel und Energie zu erzeugen, in die örtliche Wirtschaft zu investieren, alte Fähigkeiten wiederzubeleben und die Umwelt ihrer eigenen Gegend zu schützen. Für einige Bürger bedeutet das nicht viel mehr, als einen Garten anzulegen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und nicht mehr im Großdiscounter einzukaufen. Ihre Gründe sind vielfältig. Sie wollen dem Klimawandel Einhalt gebieten oder den Umweltschutz fördern. Andere Gründe sind Nahrungsmittelsicherheit oder die regionale Wirtschaftsentwicklung. Das Wesentliche an all diesen Aktivitäten ist jedoch gleich: Sie erkennen alle an, dass die Welt sich verändert und dass die alte Art,, die Dinge zu tun – basierend auf der Vorstellung, der Konsum könnte und sollte für immer weiter ansteigen – nicht länger funktioniert.

 

Für sich gestellt reichen alle diese Bemühungen nicht annähernd aus. Doch zusammen genommen können sie die Richtung hin zu einer neuen Wirtschaftsform weisen. Diese neue Wirtschaft wäre kein “freier Markt”, sondern ein “wirklicher Markt”, ganz ähnlich demjenigen, den der bekannte Ökonom Adam Smith ursprünglich ersonnen hatte. Es wäre, wie der Schriftsteller David Korten es ausdrückte, eine Wirtschaft, die von der Jedermanns Straße bestimmt würde, und nicht von der “Wall Street”.#

Bis jetzt basierten all diese Aktivitäten auf der Initiative außergewöhnlicher Einzelpersonen, die schnell genug die Krise erkannt haben, der wir entgegensteuern. Aber mit der Zeit werden mehr und mehr Menschen nach Wegen suchen, ihre Bedürfnisse im Rahmen einer schrumpfenden Wirtschaft zu befriedigen. Familien, die sich bisher auf Supermärkte mit weltweiten Zulieferketten verlassen, werden sich mehr und mehr an örtliche Landwirte wenden oder ihre eigenen Gärten anlegen müssen. Viele Weltkonzerne werden nicht mehr auf billige Energie zugreifen können und somit unfähig sein, ihren Anteilseignern die gewünschten Profite zu bieten und schließlich zusammenbrechen. Dagegen werden allerlei lokale Geschäfte und Gemeinschaftsprojekte aufblühen. Lokalregierungen werden angesichts zurückgehender Steuereinnahmen verzweifelt nach günstigen und energiesparenden Möglichkeiten suchen, um grundlegende öffentliche Dienstleistungen zu erbringen, darunter Wasserversorgung, öffentlicher Personenverkehr und Notfalldienste.

Einzelne Bestandteile der Übergangsstrategie wurden seit Jahrzehnten vorgeschlagen, mit wenigen bemerkenswerten Ergebnissen. Für gewöhnlich wurden sie als unabhängige – zum Teil auch widersprüchliche – Lösungen der Probleme dargestellt, die durch unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und durch den Massenkonsum ausgelöst wurden. Jetzt, da “business as usual” immer weniger eine wirkliche Option für den Hauptstrom der Gesellschaft sein kann, müssen diese Strategien neu durchdacht und vorgebracht werden, ja sie müssen zum Hauptstrom der Gesellschaft werden.

Was wir jetzt benötigen sind Klarheit, Führungsstärke, Koordination und Zusammenarbeit. Mit einem gemeinsamen Ziel und einem klaren Verständnis der Herausforderungen und möglicher Lösungen können wir den Übergang in eine nachhaltige, gerechte Welt jenseits fossiler Brennstoffe bewerkstelligen, auch wenn die Dringlichkeit, umgehend und vollständig den Übergangsprozess einzuleiten, kaum stark genug betont werden kann.

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Bildnachweise:

Bild 1: Earthrise – Apollo 8, National Aeronautics and Space
Administration, image 68-HC-870.
Bild 3: Los Angeles Sprawl, (c)(b)(n)(a) Premshree Pillai.

  

 

 

Richard Heinberg

Richard is Senior Fellow of Post Carbon Institute, and is regarded as one of the world’s foremost advocates for a shift away from our current reliance on fossil fuels. He is the author of fourteen books, including some of the seminal works on society’s current energy and environmental sustainability crisis. He has authored hundreds of essays and articles that have appeared in such journals as Nature and The Wall Street Journal; delivered hundreds of lectures on energy and climate issues to audiences on six continents; and has been quoted and interviewed countless times for print, television, and radio. His monthly MuseLetter has been in publication since 1992. Full bio at postcarbon.org.

Tags: Consumption & Demand, Fossil Fuels, Media & Communications, Oil, Resource Depletion